Kürzlich waren wir in den Bergen. Wir genossen die sommerlichen Abende und sassen lange draussen. Am mondlosen Nachthimmel wölbte sich das Sternenmeer und mit zunehmender Dunkelheit trat die Milchstrasse immer deutlicher hervor. Einfach grossartig! Zurück in der Stadt erhellten wie immer tausende von Lichtquellen die Nacht, Sterne waren am Himmel kaum auszumachen. Das verhinderte beglückende Erlebnis ist das eine. Dramatischer ist jedoch, dass sich diese Verschmutzung der Nacht mit künstlichem Licht einschneidend auf Flora, Fauna und die Ökosysteme auswirkt. Die Lichtverschmutzung ist ein globales Problem Der Blick in den sternenübersäten Nachthimmel ist kein «nice to have». Die nächtliche Dunkelheit als natürliche Ressource wird immer rarer und die wachsende Lichtverschmutzung der Nacht ist mittlerweile ein globales ökologisches Problem. 80% der Weltbevölkerung leben mit lichtverschmutztem Himmel! © Fabio Bontadina / swild.ch Das nächtliche Kunstlicht kann ganze Ökosysteme beeinträchtigen. Die ökologischen Folgen umfassen ein breites Spektrum von Arten, Gemeinschaften und Ökosystemen sowohl an Land als auch im Wasser. Die Lichtverschmutzung ist somit eine potenzielle Bedrohung der biologischen Vielfalt. Künstliches Nachtlicht kann in Städten 150 Lux erreichen, was 1000 Mal heller ist als eine klare Vollmondnacht. Zudem hat das Kunstlicht ein anderes Spektrum als natürliches Licht. Evolutionär betrachtet, bedeutet die Lichtverschmutzung ein neuer Stressfaktor für viele Tier- und Pflanzenarten. Mittlerweile ist dieses ökologische Problem auch den Behörden bewusst. Die Stadt Zürich beispielsweise hat den „Plan Lumière“ entwickelt, durch den das nächtliche Licht umweltverträglich eingesetzt wird, und das Bundesamt für Umwelt hat bereits 2005 eine Broschüre herausgeben mit Empfehlungen, wie man Lichtemissionen vermeiden kann. Dennoch wird Licht noch immer sehr unbedacht verwendet. Ärgerlich ist besonders, wenn es die ganze Umgebung beleuchtet, obwohl es nur den Hauseingang etwas erhellen soll. Häufig ist das Licht so grell, dass alles rundherum in Schwarz versinkt, was dem Sicherheitsgefühl überhaupt nicht dient. Da kehrt sich das Sicherheitsargument für die nächtliche Beleuchtung ironischerweise in sein Gegenteil. © Fabio Bontadina / swild.ch Die Umgebung versinkt in der Dunkelheit. Lebenswichtiger Biorhythmus Alle Organismen, d.h. Bakterien, Algen, Pilze, Pflanzen, Tiere und natürlich auch der Mensch haben sich im Laufe der Evolution an den Tag-Nacht-Wechsel angepasst. Diese „innere Uhr“ wird hauptsächlich durch das Licht des natürlichen Tag-Nacht-Wechsels auf den 24- Stundenrhythmus eingestellt. Die meisten Tiere und Pflanzen können ihre innere Uhr an die sich ändernden Tageslängen im Verlauf des Jahres anpassen. Dies hat eine Reihe ökologischer Vorteile. Beispielsweise können Tiere ihre Jungen bei günstigen Umweltbedingungen aufziehen oder Pflanzen blühen nicht im Winter. © Claudia Kistler / stadtwildtiere.ch Diese extrem hellen Lampen leuchten die halbe Nacht, blenden unangenehm und strahlen stark in die Umgebung ab. Erholsamer Schlaf in der Dunkelheit Das Schlafhormon Melatonin ist die Schlüsselkomponente in diesem zeitgebenden System. Es ist sozusagen ein Hans-Dampf-in-allen-Gassen und hat Einfluss auf zahlreiche andere Hormone. Es ist bei Tieren und Pflanzen vorhanden und entwickelt seine zentrale Wirkung von der Zelle bis zu den Organen und dem Verhalten. Bei Tieren ist für die Produktion die Zirbeldrüse verantwortlich, eine erbsengrosse Drüse im Zentrum des Gehirns. Bereits bei geringer Helligkeit kann die Produktion gestört werden, mit den entsprechenden Folgen. Denn Melatonin schützt das Herz-Kreislaufsystem, stabilisiert den biologischen Rhythmus des Körpers und ermöglicht den nächtlichen Zyklus von Ruhen und Reparatur. © Fabio Bontadina / swild.ch Helle Leuchten verhindern einen erholsamen Schlaf. Neben den gesundheitlichen Auswirkungen haben nächtliche Beleuchtungen eine Reihe ökologischer Auswirkungen. Sie können den Lebensraum von Tieren zerschneiden, ihren Aktionsradius und damit den Nahrungserwerb einschränken oder eine erfolgreiche Fortpflanzung verhindern. Auch das Risiko gefressen zu werden kann steigen, was umgekehrt für den Fressfeind natürlich ein Vorteil ist. Zwergfledermäuse (Pipistrellus pipistrellus) jagen gerne an beleuchteten Strassen, weil dort viele Insekten vom Licht angezogen werden. Andere Fledermausarten wie die stark bedrohte Kleine Hufeisennase (Rhinolophus hipposideros) hingegen meiden helle Gebiete. Das Glühwürmchen wartet vergebens Das Insektensterben und die verheerende Rolle, die die in der Landwirtschaft eingesetzten Gifte spielen, sind aktuell in aller Mund. Für viele nachaktive Insekten kommt zu diesem Übel noch die Lichtverschmutzung dazu. Wer hat beim abendlichen Essen nicht schon die unzähligen Insekten beobachtet, die hilflos um die Lampe flattern. Anstatt Nahrung zu suchen, sich zu paaren oder Eier zu legen, verfliegen sie ihre Energievorräte an den Lampen bis zur Erschöpfung. © HEGMAR / wildenachbarn.ch Der Grüne Spanner gehört zu den Nachtfaltern. Glühwürmchen mit ihrem zauberhaften Leuchten sind besondere Sympathieträger. Die meiste Zeit ihres Lebens verbringen sie als Larven, als erwachsene Tiere pflanzen sich nur noch fort. Beim Grossen Glühwürmchen (Lampyris noctiluca) wählen die Weibchen die Orte für die Paarung tagsüber aus und locken nachts die Männchen durch das charakteristische Leuchten an. Sitzen die Weibchen jedoch im Bereich einer leuchtenden Strassenlampe, sind sie kaum sichtbar für die Männchen, die zudem helle Bereiche eher meiden. Da die Glühwürmchen nach kurzer Zeit sterben, bleibt die Paarung und die Vermehrung aus. Eine fatale Sackgasse. © Lisa Wirthner / stadtwildtiere.ch Das grosse Glühwürmchen braucht dunkle Verhältnisse, damit die leuchtenden Weibchen für die Männchen sichtbar sind. Bei vielen Tierarten hat man negative Auswirkungen des Kunstlichts dokumentiert. Immer wieder finden Tausende von Vögeln nicht mehr aus sogenannten Lichtglocken (Skyglow oder Himmelsleuchten) heraus, die entstehen, wenn Kunstlicht an niedrig liegenden Wolken, Nebel oder Dunst reflektiert wird. Gefangen in dieser Lichtsphäre, verlieren sie wertvolle Energiereserven. Schliesslich sterben sie an Erschöpfung, kollidieren mit Strukturen oder gar mit anderen, vom Licht angezogenen Vögeln. © Stijlfoto / flickr.com Himmelsleuchten oder Skyglow wird durch Licht erzeugt, das in der Atmosphäre gestreut wird und ist über weite Distanzen sichtbar. Die ganze Tierwelt ist betroffen Negative Auswirkungen von nächtlichem Licht sind bei vielen Tierarten untersucht, auch bei Amphibien und Reptilien. Eine beleuchtete Strasse kann für sie schnell zur Barriere werden, die den Austausch zwischen Lebensräumen behindert. In einer aktuellen Studie hat man Flussbarsche (Perca fluviatilis) Kunstlicht ausgesetzt. Schon bei einer niedrigen Lichtintensität von 0.01 bzw. 0.1 Lux war die Melatoninproduktion reduziert. Diese Lichtbedingungen herrschen, wenn sich in Siedlungsgebieten Lichtglocken bilden. © Daniel Hegglin /swild.ch Auch Fische wie der Egli bzw. Flussbarsch leiden unter der Lichtverschmutzung. Die Ressource Dunkelheit braucht unseren Schutz Die zunehmende Lichtverschmutzung stellt eine Bedrohung für die Gesundheit und die Biodiversität dar. Die nächtliche Dunkelheit ist eine bedeutende natürliche Ressource. Wir müssen sie schützen und uns fragen, ob die nächtliche Beleuchtung wirklich immer nötig ist. Im Val-de-Ruz im Neuenburger Jura wird nachts die Strassenbeleuchtung ausgeschaltet, der Naturpark Gantrisch wurde zum ersten Dark Sky Park der Schweiz. Das Bewusstsein wächst also. Ich habe mich bei der Gemeinde über die starke Beleuchtung in der Nachbarschaft beschwert. Bisher ohne grossen Erfolg, aber ich bleibe dran. Die Lebewesen brauchen die Dunkelheit fürs Überleben, um sich zu erholen und zu regenerieren. Und wir Menschen den Sternenhimmel fürs Gemüt und fürs Philosophieren. StadtNatur plant "Lebendige Nacht" zum Einfluss von künstlichem Licht Auch der Verein StadtNatur möchte das Thema der Lichtverschmutzung aufgreifen und auf die schädliche Wirkung von künstlichem Licht auf viele Wildtierarten und die enorme Bedeutung für die Biodiversität von Wildtieren hinweisen. Deshalb plant der Verein ein gesamtschweizerisches Citizen Science-Projekt «Lebendige Nacht» Mit dem Schwerpunktprogramm «Lebendige Nacht» wollen wir: Nachtaktive Tierarten erlebbar machen und sie ins Bewusstsein der Bevölkerung rücken. Die Bevölkerung über die ökologischen Auswirkungen von künstlichem Licht informieren. Einfache Schutzmassnahmen kommunizieren und zeigen, wie jede:r etwas für den Erhalt der Dunkelheit beitragen kann. Der Start des Projekts ist auf den Sommer 2024 geplant. Weiterführende Informationen www.helldunkel.chPlan Lumière der Stadt ZürichBroschüre «Empfehlungen zur Vermeidung von Lichtemissionen: Ausmass, Ursachen und Auswirkungen auf die Umwelt». Bundesamt für Umwelt BAFU 2005.Darksky Switzerland ist eine Non-Profit Organisation, die sich für die Reduktion der Lichtverschmutzung einsetzt. Verwendete Literatur Grubisic, M., et al., 2019. Light Pollution, Circadian Photoreception, and Melatonin in Vertebrates. Sustainability 11, 6400. Ineichen, S., & Rüttimann, B. (2011). Impact of artificial light on mating Commom Glowworms. Mitteilungen der Entomologischen Gesellschaft Basel. Kupprat, F., Holker, F., Kloas, W., 2020. Can skyglow reduce nocturnal melatonin concentrations in Eurasian perch? Environ Pollut 262, 114324. Rich, C., Longcore, T. (2006): Ecological Consequences of Artificial Night Lighting. Island Press, Washington. 329 p. ISBN: 1-55963-129-5.